Patricia Drück

I.

Eine Malerei, die befiehlt.

Eine Malerei, die erzählt.

Eine Malerei, die definiert.

Eine Malerei, die befragt und antwortet.

Eine Malerei, die sich selbst ihre eigene Verzierung ist.

Eine Malerei, die sich selbst ihre eigene Malerei ist.

Eine Malerei, die zitiert.1

 

Im Feld der Künste, vor allem der Malerei, werden verschiedene Sprachen gesprochen und innerhalb dieser Sprachen wiederum differenziert, zieht man als Paradigma die Sprachspiele Ludwig Wittgensteins heran: „Es gibt unzählige solcher Arten: unzählige verschiedene Arten der Verwendung alles dessen, was wir ‚Zeichen’, ‚Worte’, ‚Sätze’ nennen. Und diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes, ein für allemal Gegebenes; sondern neue Typen der Sprache, neue Sprachspiele, wie wir sagen können, entstehen und andre veralten und werden vergessen.“2 Die aktuellen Bedingungen, die der Sicht eines Werke zugrunde liegen – Pigment, Rahmen, Träger – die Visibilität der Formen, Werte, Bewegungen und Farben der optischen Disposition können unendlich variiert werden. Das ‚Spiel’ der Malerei ist in diesem Fall als Analogie zu den Sprachspielen zu verstehen. Dies soll nicht heißen, dass die Malerei spreche, vielmehr soll dies bedeuten, dass die gegenwärtigen Künstler daran arbeiten, nicht die Bedeutungen zu dekonstruieren, sondern Sensibilitäten zu erweitern, das sichtbar zu machen, was unsichtbar ist. Also die gegebenen Sensibilitäten und ihre Formen zu verändern. Neue Sensiblilitätsspiele kommen ohne Unterlass dazu, es ist darum bestellt wie um die Sprache: wann werden wir sagen, dass sie vollständig ist?

War noch die Malerei im 20. Jahrhundert mit ihrem aufklärerischen Programm der kritischen Selbstreflexion, wie der Kunsttheoretiker Johannes Meinhard in seinem Buch „Ende der Malerei und Malerei nach dem Ende der Malerei“ es benennt, eine „analytische Arbeit der Malerei an sich selbst“, eine Malerei, die den Abbildstatus aufgegeben hat, so reflektieren gegenwärtige Strömungen der Malerei aufs neue die Existenzbedingungen, die kulturelle Herkunft und die fiktiven Potenziale von Bildern auf der Basis malerischer Grundlage. Längst wird die These, Malerei müsse sich von den Bildern aus der Welt befreien und nur mehr ihr eigenes Medium zur Schau stellen, nämlich Leinwand und Farbe, als historisch betrachtet. Ausstellungen wie „Malerei ohne Malerei“ (Leipzig 2002) stellen die Frage, ob das Malerische überhaupt an das Medium Malerei gebunden ist oder ob dessen Kriterien auch auf andere Medien wie Fotografie, neue digitale Bildmedien usw. übertragen werden können.

II.

Rolf Poellets Malerei ist keine Malerei, die nur ihre eigenen Mittel erweitert oder gar einen imaginären Raum als Ersatz für die Wirklichkeit öffnen will, wenngleich mit der Bedeutung des Dahinter gespielt wird. Neben Werkserien mit Porträts bzw. Gesichtern, Pin-Ups, Interieurs, Modeklischees und Fragmenten von Kleidungsstücken setzt sich Poellet seit über einem Jahr mit dem Motiv des Vogels auseinander. Statt von Bildinhalt ist es hier jedoch aus verschiedenen Gründen angebracht, von Motiv bzw. Klischee zu sprechen. Jeweils am Anfang eines Bildfindungsprozesses steht das Be-Greifen der Malvorlage, die ein Foto aus einer Illustrierten, einem Reportagemagazin oder einem wissenschaftlichen Buch sein kann. Vom Interesse und der Sicht des Malers geleitet untersucht er, wie Fotos aus Printmedien als Bildvorlagen funktionieren, wie abstraktionsfähig diese Vorlagen sind. Statt detailgetreuer oder fotorealistischer Wiedergabe löst Poellet in selektivem Vorgehen aus der Anschauung heraus nur einzelne Elemente aus dem massenmedial verbreiteten Foto. Dessen Umsetzung ins gemalte Bild wiederum lenkt die Aufmerksamkeit durch die Abstraktion der Formen und eine auf chromatische Töne beschränkte Farbigkeit weg vom Inhaltlichen hin zum bildnerischen Prozess. Die Formen werden mit schnellem Malgestus kalkuliert auf den Bildgrund gesetzt. Abstrahierte, reduzierte Bildzeichen, manchmal schon fast kalligrafische Kürzel liegen auf den Farbgründen. Diese bildkonstituierenden Elemente sind nicht immer auf der Bildfläche fest verankert, scheinen vielmehr davor zu schweben. Dadurch erhalten die Bilder fast etwas Skizzenhaftes, was in den Arbeiten auf Papier noch bestärkt wird. Die konzentrierten Bildlösungen, die sich an ein- und demselben Motiv abarbeiten können, spielen anhand der Vorlage als äußere Motivation für die Entstehung des Bildes verschiedene malerische Prinzipien, Bildstrategien und Formen der Wahrnehmung durch. Die Frage der Formfindung anhand des Klischees wird schließlich wichtiger als die Thematisierung des Klischees selbst. Die Formen lassen zwar den Vogel als Bildgegenstand aufscheinen, stehen aber immer zugleich auch für sich selbst und werden ihrer Zeichenfunktion wieder enthoben.

Das „Geflecht des Sichtbaren“ (Merleau-Ponty), die Beziehung des Auges zum Sichtbaren, d. h. die Beziehung des Seins zu sich selbst in seiner ursprünglichen „Verflechtung“, die uns generell im Bild begegnet, beruht auf dem Verhältnis zwischen dem anschaulichen Ganzen und dem, was es an Einzelbestimmungen (der Farbe, Form, der Figur etc.) beinhaltet. In Poellets Bildern ist dies bestimmt durch die Relation zwischen dem Nacheinander auf der Fläche (von Farbe, Form, Figur etc.) und ihrer gleichzeitigen Ansichtigkeit als Fläche. Zwischen dem Detail auf der Fläche und dem Kontext mit dem Flächengrund baut sich in seinen Bildern eine produktive Spannung auf. In ihrem offenen Verfahren ist diese Art von Malerei eine Recherche im visuellen, sich transformierenden und stetig expandierenden Komplex. Man könnte es auch beschreiben als bildanalytische Arbeit auf Grundlage der Elemente der Malerei, die durch malerische Handlung strukturiert wird. An dem Punkt aber, an dem sich erkennbar Bedeutung einstellt, wird diese Bedeutung auf die Grundbedingungen der Malerei einsehbar zurückgeführt. Letztendlich steht ein Begriff vom Bild dahinter, der lediglich modellhaften Charakter besitzt und gleichzeitig die Entscheidung für eine aus vielen Möglichkeiten darstellt. Rolf Poellets sich der Festlegung entziehenden Bilder stehen für eine gewisse Offenheit und eine ins Unendliche gehende Differenziertheit. Das Entdecken struktureller malerischer Details verspricht nichts, sie können einfach nur als solche gelesen werden. Der „Möglichkeitssinn“ (Robert Musil, Mann ohne Eigenschaften) dieser Bilder vermittelt einen Umgang mit dem gemalten Bild, der nicht dogmatisch ist, sondern ein Sehen sensibilisiert, das für die visuellen Erfahrungs- und Erkenntnismöglichkeiten steht, die allein das gemalte Bild zu öffnen vermag.

III.

„Man müsste die Zeit, die der Maler benötigt, um ein Bild zu malen (die Zeit der „Herstellung“), die Zeit, die erforderlich ist, um dieses Werk zu betrachten und zu begreifen (die Zeit des „Verbrauchs“), die Zeit, auf die das Werk sich bezieht (ein Moment, eine Szene, eine Situation, die Folge von Ereignissen: die Zeit des diegetischen Bezuges, der im Bild erzählten Geschichte), die Zeit, die es gebraucht hat, um vom Augenblick seiner „Entstehung“ an zum Betrachter zu gelangen (seine Zeit des Umlaufs), und schließlich vielleicht auch noch die Zeit, die es selbst ist voneinander unterscheiden.“3

Jean-François Lyotard stellte für die Bilder Barnett Newmans fest, dass sie selbst das Ereignis sind, der Augenblick, der geschieht. Das Bild wird zur „Verkündigung“. Seit den 60er Jahren gibt es viele unterschiedliche Ausprägungen eines solcherart beschriebenen Bildzustandes. Auch die Erzählhaftigkeit der Ölbilder und Papierarbeiten von Rolf Poellet hält sich zurück, der Inhalt ist jedoch keinesfalls ausgeschaltet. Im Gegenteil, spielt er doch für Poellets bildnerisches Schaffen wie für einen Großteil der gegenwärtigen Malerei nicht nur vordergründig eine Rolle, und dies ohne Gefahr zu laufen ins Plakative oder Ornamentale zu verfallen. Wenn es jedoch einen Inhalt gibt, dann einen des Augenblicklichen, einen im Hier und Jetzt, hergestellt durch räumliche Formanklänge und Farbspiele, die motivische Assoziationen vermitteln können. Die Bildfläche ist gemäß einem „noch nicht“ und „nicht mehr“ organisiert. Der Raum hingegen, den die Bilder einnehmen, ist nicht länger von der Art, die Betrachter und Bezug fordert – obwohl sie ihn dennoch anbieten könnten. Die Botschaft (das Bild) ist der Botschaftsträger; sie findet in der Dringlichkeit des Jetzt statt: „Der Bezug (das, wovon ein Bild „spricht“), der Absender (sein „Autor“) tun nichts dazu, die Botschaft ist die Präsentation von nichts, d. h. von der Präsenz.“4 Pöllets Bilder brechen nicht aus der Zeit aus, positionieren sich aber auch nicht in der Zeitlosigkeit, vielmehr spielen sie mit der verpflichtenden Kraft einer Beziehung von Angesicht zu Angesicht, mit der Kraft der Assoziation. Es gibt kein Geheimnis der Herstellung, keinen Trick, die Intelligenz des Blicks abzuschwächen. Jede der Arbeiten, selbst als Teil einer Serie, die meist Arbeitsprinzip Poellets ist, hat kein anderes Ziel als durch sich selbst ein visuelles Ereignis zu sein: Die Zeit des Erzählten und die Zeit um diese Zeit zu erzählen, sind nicht mehr voneinander getrennt. Sie sind eins, in dem Augenblick verdichtet, der das Bild ist.

1 Lyotard, Jean-François: Philosophie und Malerei im Zeitalter ihres Experimentierens, Berlin 1986, S. 81.

2 Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen, § 23.

3 Lyotard, S. 7.

4 Ebenda, S. 11.